Krankheitsbild

Oralophobie

Weltweit leiden ca. 15% der Bevölkerung unter übergroßer Angst vor zahnärztlicher Behandlung (Gatchel 1983), in Deutschland sind ca. 12 Millionen Bundesbürger davon betroffen. 
Die Deutsche Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) spricht von „Zahnbehandlungsangst“ – wir nennen diese Erkrankung „Oralophobie“, da sie auch auftritt, wenn keine Zähne behandelt werden oder gar keine Zähne mehr im Mund sind.
Der Zahn selbst oder dessen Behandlung ist also für die Phobie nicht von grundlegender Bedeutung, da die Phobie auch nach Operationen, Unfällen, Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch etc. auftreten kann. 
Entscheidend ist die Traumatisierung des oralen Systems oder damit verbundener psychologischer Strukturen. Die meisten Menschen sind im Alter von 10 – 18 Jahren traumatisiert worden (44,8%), 34,6% sind bei der Traumatisierung jünger als 10 Jahre, so dass bei nahezu 80% des Klientels im Kinder- oder Jugendlichenalter der Grundstein für die Phobie gelegt wird (Macher 2000).

Die Mehrzahl der Betroffenen gibt an, dass sie schlechte Erfahrungen mit zahnärztlichen Behandlungen gemacht haben und in der Folge Angst vor Schmerzen entwickelten (63%), die zweitgrößte Gruppe (32,2%) beklagt das „psychologische Fehlverhalten des Behandlers“ (wenig Verständnis für den meist jungen Patienten, Abwertung des Patienten, keine Rücksicht auf Schmerzreaktionen, bagatellisieren der Angst des Patienten, kein Einfühlungsvermögen, Macher 2000).

Vor dem Hintergrund dieser Befunde lässt sich die Oralophobie als eine psychische Störung beschreiben, die erworben werden kann durch: 

- Traumatische Erlebnisse im Mundorgan
- Übernommene traumatische Erlebnisse (Erzählungen, Zahnarztbesuch eines Familienmitgliedes)
- Übernommene negative Einstellung zum Mundorgan
- Als Folge von sexuellem Missbrauch, körperlichen Traumata, Gewaltanwendungen, Unfällen oder Operationen
Sie kann auch Teil einer komplexen Symptommanifestation im Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung sein.

Die Oralophobie ist eine Krankheit und erfüllt nach ICD-10 die Kriterien einer phobischen Störung ( F40.2 ).

- Die psychischen oder vegetativen Symptome müssen primäre Manifestationen der Angst sein und nicht auf     anderen Symptomen wie Wahn oder Zwangsgedanken beruhen.

- Die Angst muss auf die Anwesenheit eines bestimmten phobischen Objektes oder eine spezifische Situation  begrenzt sein.

- Die phobische Situation wird, wann immer möglich,  vermieden.

Die Ursache liegt offensichtlich in der Besonderheit des Mundorgans, das ja zugleich der Nahrungsaufnahme, der Sprache, der Sinneswahrnehmung und der verbalen und nonverbalen Kommunikation dient. 
Mit Sicherheit ist es für Lernprozesse zuständig und für wichtige Schritte in der psychischen Entwicklung („orale Phase“ nach Freud).t
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